Das Leben ist kein Zuschauersport
Lebendig durch Gemüseanbau und Hürden, die dich dabei hindern.
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Wenige Dinge lassen mich so lebendig fühlen wie die Arbeit in meinem Gemüsegarten. Es gibt Momente im Leben, in denen wir uns fragen: War’s das jetzt? Tage, die sich anfühlen, als würde man nur noch reagieren, statt zu gestalten. Ein Leben im Autopilot-Modus – effizient, aber irgendwie leer. Doch was macht uns wirklich lebendig? Wie hängt Selbstversorgung und Selbstwirksamkeit zusammen und wie können wir uns dadurch ein aktiven Zugang zu unserem Leben erschaffen?
Vielleicht liegt es an der Jahreszeit, vielleicht an der hektischen Flut an Informationen in unserer Gesellschaft, aber ich träume vom Frühling, von grünen Blättern, lauen Lüften und kraftgebendem Wachstum aus der Erde.
Als ich das hier schreibe, befinde ich mich im Endspurt des Wahlkampfes vor den Neuwahlen zum deutschen Bundestag am 23.02.2025. In dieser Phase wird mir besonders bewusst, wie sehr politische Prozesse und demokratische Teilhabe mit Selbstwirksamkeit zusammenhängen. Die Möglichkeit, aktiv Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen zu nehmen, erinnert daran, dass auch im persönlichen Leben bewusste Entscheidungen und Engagement den Unterschied machen können.
In den letzten Wochen bin ich immer wieder der Aussage begegnet, dass „Demokratie [..] kein Zuschauersport [sei]“. Diese Aussage ist jetzt im Wahlkampfendspurt überall gegenwärtig, vor allem von Robert Habeck, Kanzlerkandidat von Bündnis 90 / Die Grünen.[1] Sie betont die Beteiligung am demokratischen Prozess durch Engagement – hauptsächlich des Wählens aber auch durch Thematisieren von Inhalten im eigenen Wirkungskreis. Mein Appell: Geht wählen – für eine demokratische Gesellschaft, in der Mitbestimmung und Gestaltung für alle möglich ist. Wählt nicht nur für euch, sondern für eine Gesellschaft, in der alle eine Stimme haben, auch für zukünftige Generationen!“
Aber der Ausdruck „Demokratie ist kein Zuschauersport“ gilt doch für noch mehr Lebensbereiche? So wie unsere Stimmen in der Demokratie zählen, zählen auch unsere kleinen alltäglichen Entscheidungen.
Und was hat das jetzt alles mit Selbstversorgung zu tun?
Jede Handlung – sei es im Garten, in der Küche, in der Familie oder in der Gemeinschaft – formt die Welt, in der wir leben wollen. Ist nicht das Leben an sich kein Zuschauersport? Wir gestalten unser Leben durch das Anpacken, durch das Schaffen. Seit vielen Jahrhunderten sind wir zunehmend von unserer Lebensmittelgewinnung entfremdet worden. Während in vorindustriellen Gesellschaften der Großteil der Menschen direkt an der Produktion von Nahrung beteiligt war, führten Industrialisierung und Urbanisierung zu einer immer stärkeren Trennung zwischen Produzenten und Konsumenten. Die Einführung großflächiger Agrarwirtschaft, die Mechanisierung der Landwirtschaft und der Aufstieg von Supermärkten führten zu einer tiefgreifenden Veränderung in der Lebensmittelproduktion. Wie die Studie ‚Wunder RUN: Regionale Ernährungsstrategien‘ (repos.hcu-hamburg.de) zeigt, hat diese Entwicklung nicht nur unser Verhältnis zur Nahrung verändert, sondern auch die Verbindung zwischen städtischen und ländlichen Ernährungssystemen maßgeblich beeinflusst. Diese Entwicklung hat nicht nur unser Verhältnis zur Nahrung verändert, sondern auch unser Verständnis von Selbstversorgung und Eigenverantwortung geschwächt. [2]
Anbau eigener Lebensmittel – ein Luxus?
Seit dem ersten Corona-Lockdown 2020 ist Selbstversorgung ein durchgehend aktuelles Thema! Auch die Krisen seitdem haben uns einen Hauch der Fragilität unserer Lebensmittelversorgung ahnen lassen. Gleichzeitig schleicht sich mir der Eindruck, Anbau von Lebensmittel sei ein Luxus, das sich eines gewissen Kreises vorwiegend des Bildungbürgertums zugang hat und überhaupt leisten kann. Manche Bevölkerungsgruppen – darunter Menschen mit Migrationsgeschichte, finanziell Benachteiligte, Menschen mit Behinderungen – sind besonders von strukturellen Barrieren betroffen, die ihnen den Zugang zu nachhaltigen Ernährungssystemen erschweren. Wie die Studie ‚Wunder RUN: Regionale Ernährungsstrategien‘ zeigt, sind es oft diese Gruppen, die aufgrund fehlender finanzieller Mittel, räumlicher Verfügbarkeit oder mangelnder politischer Unterstützung am wenigsten von regionalen Ernährungsstrategien profitieren [siehe 2]. Auch Menschen mit Einschränkungen durch soziale Isolation oder Alter – haben strukturell erschwerten Zugang zu Selbstversorgung und nachhaltigem Konsum. Mehr dazu weiter unten auf dieser Seite.
Sollte der Zugang zu gesunden Lebensmittel wirklich ein Luxus sein – oder ist es eine gesellschaftliche Aufgabe ihn für alle zugänglich zu machen?
Seit vielen Jahrhunderten sind wir zunehmend von unserer Lebensmittelgewinnung entfremdet worden. Während in vorindustriellen Gesellschaften der Großteil der Menschen direkt an der Produktion von Nahrung beteiligt war, führten Industrialisierung und Urbanisierung zu einer immer stärkeren Trennung zwischen Produzenten und Konsumenten. Die Einführung großflächiger Agrarwirtschaft, die Mechanisierung der Landwirtschaft und der Aufstieg von Supermärkten ersetzten weitgehend den direkten Anbau und die Verarbeitung von Lebensmitteln im eigenen Haushalt. Diese Entwicklung hat nicht nur unser Verhältnis zur Nahrung verändert, sondern auch unser Verständnis von Selbstversorgung und Eigenverantwortung geschwächt. [2]
Anbau eigener Lebensmittel – ein Luxus?
Seit dem ersten Corona-Lockdown 2020 ist Selbstversorgung ein durchgehend aktuelles Thema! Auch die Krisen seitdem haben uns einen Hauch der Fragilität unserer Lebensmittelversorgung ahnen lassen. Gleichzeitig drängt sich mir der Eindruck auf, die thematische Beschäftigung begrenzt sich auf gewisse Kreise des Bildungsbürgertums. Ist Anbau von Lebensmitteln ein Luxus, zu dem sich nicht alle gleichermaßen Zugang haben oder sich überhaupt leisten können? Manche Bevölkerungsgruppen – darunter Menschen mit Migrationsgeschichte, finanziell Benachteiligte, Menschen mit Behinderungen oder Einschränkungen durch soziale Isolation oder Alter – haben strukturell erschwerten Zugang zu Selbstversorgung und nachhaltigem Konsum. Mehr dazu weiter unten auf dieser Seite.
Sollte der Zugang zu gesunden Lebensmittel wirklich ein Luxus sein – oder ist es eine gesellschaftliche Aufgabe ihn für alle zugänglich zu machen?
Anbau von Lebensmittel macht Arbeit!
Um Lebensmittel anzubauen muss eine gewisse Arbeit eingesteckt werden. Wenn wir nachhaltig und umweltverträglich Arbeiten, arbebiten wir Mit der Natur und können uns viel Arbeit ersparen. Durch Mischkultur und Aspekte der Permakultur funktioniert das ganz gut aber dennoch: Anpacken ist nötig. Zeit, Körperliche Arbeit und Kraftanstrengung ist erforderlich. Aber gleichzeitig erahnen wir hier auch die Antwort auf die eingangs gestellte Frage: „Was macht uns wirklich lebendig?“
Die Antwort liegt oft nicht in großen, radikalen Veränderungen, sondern in etwas viel Einfacherem: Selbstwirksamkeit – das Gefühl, durch das eigene Handeln etwas bewirken zu können. Wer sein Leben selbst gestaltet, fühlt sich präsenter, verbundener und zufriedener. Doch genau hier beginnt das Problem: Nicht alle Menschen haben die gleichen Chancen, aktiv zu werden.
Warum nicht alle die gleichen Möglichkeiten haben, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten
Während einige Menschen den Luxus haben, sich bewusst für ein selbstbestimmtes Leben zu entscheiden – sei es durch Selbstversorgung, politisches Engagement oder kreative Projekte – gibt es viele, die durch strukturelle Hürden systematisch ausgeschlossen werden.
Hier sind einige der größten Barrieren:
1. Fehlende finanzielle Ressourcen
- Wer in prekären Lebensverhältnissen lebt, kann es sich oft nicht leisten, nachhaltige Entscheidungen zu treffen.
- Biologische Lebensmittel, Hochbeete für den Balkon oder Materialien für DIY-Projekte kosten Geld – ein Privileg, das nicht jede:r hat.
– Politischer Ansatz:
- Subventionen oder Bereitstellung öffentlicher Grünflächen für Gemeinschaftsprojekte wie Urban Gardening oder kostengünstige Werkstätten. Dabei können städtisches Personal und Maschinen aus der kommunalen Workforce eingesetzt werden, um gemeinschaftlich entwickelte Städteplanung umzusetzen – warum nicht ein Bürgerpark mit integrierten Gemüseanbauflächen?
- Förderprogramme für nachhaltige Lebensmittelversorgung, die auch sozial Schwächere erreichen. Selbstpflück-Angebote oder Kooperationen mit lokalen Gemüsebauern, um einen niedrigschwelligen Zugang zu Lebensmitteln zu ermöglichen.
2. Soziale & kulturelle Exklusion
- Gemeinschaftsgärten, Reparatur-Initiativen oder politische Beteiligung wirken oft exklusiv – sei es durch Sprachbarrieren, unausgesprochene soziale Codes oder eine Bildungshürde.
- Besonders Menschen mit Migrationsgeschichte oder Fluchterfahrung finden sich oft in Räumen wieder, die sie als „nicht für sie gedacht“ wahrnehmen.
– Politischer Ansatz:
- Mehrsprachige Informationen & niedrigschwellige Bildungsangebote.
- Interkulturelle Projekte, die bewusst Wissen aus verschiedenen Kulturen wertschätzen (z. B. traditionelle Lebensmittelkonservierungstechniken aus dem globalen Osten und Süden).
3. Fehlender Zugang zu Land & Infrastruktur
- Gerade in Städten fehlt oft der Platz, um sich selbst zu versorgen oder kreative Projekte umzusetzen.
- Öffentliche Flächen stehen oft wirtschaftlichen Interessen gegenüber – statt Gärten entstehen Parkplätze oder Bürogebäude.
– Politischer Ansatz:
- Flächen in Städten für Bürger:innenprojekte reservieren. Patenschaftsprojekte, bei denen generationsübergreifend Ressourcen geteilt werden können. Viele ältere Menschen leben allein mit einem großen Garten und altem Baumbestand und würden sich freuen, Patenschaften an engagierte Familien oder Einzelpersonen zu vergeben – gegen Hilfe im Garten.
- Kommunale Förderung für Mietgärten, Co-Working-Werkstätten und offene Küchen. Einbindung von Bildungsstätten in der Erwachsenenbildung, um ein Angebot an Kursen und Workshops zu saisonaler Lebensmittelgewinnung und Haltbarkeitstechniken zu schaffen. [3]
4. Zeitliche Belastung & Arbeitsbedingungen
- Wer in einem schlecht bezahlten Job arbeitet oder Care-Arbeit (Kinderbetreuung, Pflege) leistet, hat oft keine Energie für zusätzliche Projekte.
- Die Idee, Zeit für Selbstversorgung zu investieren, ist für viele schlicht nicht realistisch.
– Politischer Ansatz:
- Arbeitszeitverkürzung & bessere Bezahlung in Care-Berufen, damit Menschen mehr Raum für Selbstbestimmung haben.
- Familiengerechte individell gestaltbare Familienpolitik, damit sich Eltern bewusst und frei ihre Schwerpunkte setzen können, gerade in den Jahren wo Kinder klein und betreuungsintensiver sind oder wenn gesundheitliche Besonderheiten hinzukommen.
- Gemeinschaftsprojekte direkt mit sozialen Hilfen verbinden, um Menschen mit Beeinträchtigung oder in schwierigen Lebenslagen einzubeziehen.
Warum es sich lohnt, persönliche Hindernisse zu überwinden
Neben strukturellen Hürden gibt es auch individuelle Blockaden, die uns daran hindern, unser Leben aktiv zu gestalten. Doch genau diese Hindernisse zu überwinden, führt zu einem tieferen Gefühl von Selbstbestimmung und Zufriedenheit.
1. Angst vor dem Scheitern
- Viele Menschen trauen sich nicht, Neues auszuprobieren, aus Angst, es nicht „richtig“ zu machen.
- Doch: Jeder Fehler ist eine Erfahrung und bringt uns dem Ziel näher.
– Impuls: Gerade in unsere Informationsgesellschaft ist es leicht sich in information zu verirren. Behalte dabei im Gedanken: Saatkörner, die unperfekt gesäht werden, haben eine größere Chance zu wachsen als die, die in der Tüte bleiben.
Es kann helfen, Sich kleine, machbare Ziele zu setzen und nach und nach das Vertrauen in die eigene Fähigkeit stärken.
Schau gerne bei den Beiträgen Heu-Kartoffeln: Die Mühelos-Methode? vorbei. Da kannst du nachlesen, und dir Mut holen um eigene Erfahrungen zu sammeln.
Auch im Beitrag Kartoffeln anbauen: Welche Methode passt zu mir? erzähle ich dir mein wirren Weg durch den Anbau-Djungel von Kartoffeln.
2. Bequemlichkeit & alte Gewohnheiten
- Der Alltag ist oft durch Routinen bestimmt, die schwer zu durchbrechen sind.
- Doch: Veränderungen beginnen mit kleinen Schritten – Jede noch so kleine Aktion zählt.
– Impuls: Male dir aus, wie ein Tag mit etwas neuem aussehen würde. Gerne so detailliert wie du kannst. Du stehst im Garten, Schiebst den Spaten in die Erde, schiebst eine Schubkarre, Pflanzt etwas ein. Sitzt mit einem Becher Tee und schaust die Pflanzen beim wachsen zu. Oder auch wie du nach dem Essen eben durch den Garten schlenderst und durchatmest. Das kann dir helfen, dir bewusst Zeiten für neue Aktivitäten reservieren und diese fest im Alltag verankern.
3. Fehlendes Selbstvertrauen
- Wer über Jahre das Gefühl hat, keinen Einfluss auf sein Leben zu haben, zweifelt an den eigenen Fähigkeiten.
- Doch: Selbstwirksamkeit ist wie ein Muskel – je mehr wir ihn trainieren, desto stärker wird er.
– Impuls: Lege dir ein kleinen Notizbuch an wo du jeden Tag drei kleine Dinge, dir du gut fandest oder dir gut gelungen sind festhalten kannst. Manchmal muss man den Blick neu ausrichten, um Erfolge zu sehen. Du kannst dein Blick wie eine kleine Suchantenne auf kleine Erfolge „eintunen“ und dadurch erkennen, dass du mehr schaffst als du dachtest! Denk aber daran, Achtsamkeit ist auch ein Muskel – natürlich nur im übertragenen Sinn 😉 – Je mehr du dein Blick trainierst, umso selbstverständlicher und leichter fällt es dir!
Selbstwirksamkeit ist politisch – und sie gehört allen
Viele der Hindernisse, die Menschen davon abhalten, Gestaltende ihres eigenen Lebens zu sein, sind nicht individuell – sie sind strukturell.
Das bedeutet: Es liegt nicht nur an Einzelnen, sich zu „überwinden“ – es braucht politische Veränderungen, damit alle Menschen die Möglichkeit haben, aktiv zu werden.
Was wir tun können:
- ✅ Gemeinschaft fördern: Orte schaffen, an denen Wissen & Ressourcen geteilt werden.
- ✅ Politisch Druck machen: Bürgerbegehren, Petitionen & Initiativen für öffentliche Flächen und Förderungen unterstützen.
- ✅ Kulturelle Vielfalt als Ressource nutzen: Migrantisches Wissen über Selbstversorgung, Anbau & Lebensmittelverarbeitung wertschätzen und in Bildungsangebote einbinden.
Denn: Das Leben ist kein Zuschauersport. Und jeder Mensch verdient es, aktiv dabei zu sein. Und beim Arbeiten, verlieren die Zuschauer tatsächlich an Macht und es ist egal, wie du dabei aussiehst!
Der skeptische Blick bezieht sich natürlich hierbei eher auf meine Scheu, im Bild zu sein! An sich, bin ich da total zufrieden mitten im Kartoffelbeet anlegen! Hübsch sein dabei: Keine Voraussetzung!
Ich hoffe, ich konnte dich inspirieren, mutig deine eigenen Erfahrungen in der Selbstversorgung mit Lebensmitteln zu machen und dich bestärken, dich für eine Gesellschaft einzusetzen, in der wir alle lebendig und spürbar sind. Denn nur wenn wir das Leben bewusst wahrnehmen und aktiv gestalten, erkennen wir, wie wertvoll diese Welt ist. Mit diesem Bewusstsein können wir selbstbewusst für Entscheidungen kämpfen, die unsere Lebensgrundlage nachhaltig für kommende Generationen sichern.
Quellen:
[1]: Rede Robert Habeck: https://www.youtube.com/shorts/y_12pI0N0kY
[2]: Eine detaillierte Untersuchung dieser Thematik bietet die Masterarbeit „Wie Städte von urbaner Landwirtschaft profitieren können“ von Victoria Mutzek, die die historischen Entwicklungen der Lebensmittelproduktion in urbanen Gebieten und die Auswirkungen von Industrialisierung und Urbanisierung beschreibt (repos.hcu-hamburg.de).
[3]: Interessante Ansätze sind im Internet unter dem Begriff „Essbare Stadt“ zu finden. Hier ein Link zur Essbare Stadt der Stadt Oldenburg.