Selbstaussaat im Topf als Zeichen für achtsames Gärtnern und resiliente Pflanzen
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Was mir mein Garten über Zusammenhänge zeigt

Beobachtung im Garten ist unglaublich wichtig. Häufig gehe ich in den Garten mit einem klaren Plan: Die Tomaten müssen ausgegeizt werden, Möhren ausgesäht oder vereinzelt werden. Unkraut aus den Beeten entfernt werden.
Aber dann bin ich draußen und werde abgelenkt. Ich fange an spontan zu schauen, was erledigt werden will. Stören die Brennesseln wirklich, die in einer Ecke des Gartens wachsen? Was ist mit den Raupen, die sich genüsslich daran laben?

Selbstaussaat im Topf als Zeichen für achtsames Gärtnern und resiliente Pflanzen
Unbemerkt keimen Selbstaussaaten in vergessenen Töpfen – langsam, aber kraftvoll. Sie erinnern daran, dass Leben oft dort beginnt, wo wir nicht hingesehen haben.

Was ist mit den hübschen ausgewilderten Eisenkraut- und Baldrianpflanzen, die überall dort stehen wo ich eigentlich was anderes geplant habe. Machen sie es nicht auch bunt und hübsch?

Manchmal ist ein Mit der Natur arbeiten deutlich vielseitiger als nur die eigenen Vorstellungen folgen.

So wird ein Moment, das als To-Do angefangen hat zum Anlass über Vielfalt und Kontrolle, Selbstwirksamkeit und Demut zu philosophieren.

Beikraut oder Botschafterin? Was lehrt die Beobachtung im Garten?

Früher war das, was zwischen meinen Kulturpflanzen wächst, für mich einfach störend. Beikraut. Platzräuber. Zeitfresser. Heute sehe ich genauer hin.

Ich erkenne: Die Vogelmiere zeigt mir, wo der Boden besonders locker ist. Der Giersch macht sichtbar, wo ich Schatten und Feuchtigkeit habe. Das unscheinbare Hirtentäschel blüht, wenn sonst kaum etwas blüht – und versorgt Wildbienen mit Nahrung. Brennessel bietet unschätzbarer Nahrung für mehr Insekten als dass ich überhaupt ihre Namen kenne.

Nahaufnahme einer blühenden Brennnessel mit grünen Blütenständen und gezackten Blättern im sommerlichen Garten.
Blühende Brennnessel – oft verkannt, dabei Lebensraum, Nährpflanze und Heilpflanze zugleich. Wer genau hinsieht, entdeckt ihre Schönheit und ihr Nutzen.

Beikraut ist nicht einfach „da“. Es sagt etwas aus. Und wir können lernen, zuzuhören.

Erfahrungen im Garten: Zwischen Durchgreifen und Dazulernen

Selbstverständlich müssen manche Pflanzen weichen – damit meine Gemüsepflanzen Licht, Luft und Raum zum Wachsen haben. Der Feind #1 in mein Gemüsegarten, die Nacktschnecke versteckt sich am liebsten unter den schattenspendenden Schirmen der Löwenzahnblätter. Selbstversorgung bedeutet auch, Verantwortung zu übernehmen. Entscheidungen zu treffen. Nicht nur in der Tierhaltung entscheiden wir über Leben und Tod, auch bei unseren Pflanzen gestalten wir nach eigenem Gutdünken.

Aber das Entscheidende ist: Diese Entscheidungen treffe ich nicht blind. Sondern auf Basis von Beobachtung.

Denn viele gute Partnerschaften im Garten – etwa zwischen Basilikum und Tomate, zwischen Möhre und Zwiebel – wurden nicht durch Nachdenken entdeckt. Sondern durch achtsames Hinschauen. Durch jahrelanger Versuch und Irrtum. Unermüdliches zusammentragen von Erfahrungen und gesammeltes Wissen. Durch Vertrauen in den Prozess.

Zwiebeln und Möhren im Beet

Erfahrungen und Wissen: die unsichtbare Wissenschaft der Frauen

Hier lohnt ein Blick zurück: Frauen, die über Jahrhunderte hinweg solches Wissen gesammelt, weitergegeben und gelebt haben, galten in patriarchalen Gesellschaften oft als Bedrohung. Kräuterfrauen, Hebammen, Weise – sie wurden nicht bewundert, sondern verfolgt. Viele wurden der Hexerei beschuldigt, verurteilt und verbrannt. Ihre Macht lag nicht in Hierarchien, sondern im Vertrauen in die Natur, in überliefertes Wissen und gemeinschaftliche Erfahrung.

Dabei handelte es sich um eine Form von Erfahrungswissenschaft: systematisches Beobachten, Weitergeben und Überprüfen von Wissen in kollektiven Zusammenhängen. Doch weil Frauen offiziell nicht forschen durften, wurden diese Erkenntnisse nie als wissenschaftlich anerkannt – obwohl sie es faktisch waren. Ihre Wirksamkeit und das Ansehen, das diese Frauen in ihren Gemeinschaften genossen, waren eine Bedrohung für männliche Herrschaftsstrukturen. Deshalb wurden sie systematisch unterdrückt, entrechtet – und oft ermordet.

Räucherbündel mit glimmender Spitze, daneben eine brennende Kerze und eine weiße Keramikschale – Symbol für altes Frauenwissen.
Erfahrungswissen, das glimmt: Frauen, die beobachteten, heilten und erinnerten – und für ihre Macht verbrannt wurden.

Was verloren ging, war nicht nur individuelles Wissen, sondern eine ganze Kultur der kollektiven Erkenntnis. Eine Form der Wissenschaft, die auf Vielstimmigkeit, Alltagserfahrung und dem Leben selbst basierte – und die wir heute dringend wieder brauchen.

Antifeminismus und die strategische Begrenzung weiblicher Macht

Heute erkennen wir: Kollektiv gesammeltes Wissen ist kein Besitz, sondern ein Schatz. Es erlaubt Erkenntnisse mit Tiefe und Weite – weil sie nicht aus einer Perspektive stammen, sondern aus vielen. Wenn wir wieder lernen, dieses Wissen zu würdigen, schaffen wir Raum für echte Vielfalt und tragfähige Entscheidungen – im Garten wie im Leben.

Und doch gibt es Kräfte, die genau das zurückdrehen wollen: Die antifeministische Bewegung versucht, Frauen erneut auf einen engen Wirkungsbereich im Privaten zu reduzieren – unter dem Vorwand, ihnen als „Managerinnen des Haushalts“ eine machtvolle Position zu geben. In Wahrheit geht es dabei um die Wiederherstellung männlicher Vormachtstellung. Frauen sollen zwar Verantwortung übernehmen – aber nur in überschaubaren, kontrollierbaren Bereichen. Ihr gesellschaftlicher Einfluss, ihre Teilhabe an kollektiver Erkenntnis und öffentlichem Diskurs wird dabei systematisch kleingehalten. Das ist keine Anerkennung weiblicher Stärke, sondern eine strategische Begrenzung. Und genau deshalb ist es so wichtig, dieses Wissen sichtbar, zugänglich und wirksam zu machen – für alle.

Unser stärksten Werkzeuge: unsere Beobachtung im Garten und unsere Präsenz

Je mehr ich gärtnere, desto klarer wird mir: Das wichtigste Werkzeug im Garten ist nicht die Hacke, nicht die Gießkanne, nicht der Kompost. Es ist meine Beobachtungsfähigkeit. Meine Präsenz.

Wenn ich achtsam bin, sehe ich: – Wo der Boden kompakt ist – und wo er lebt. – Wo Pflanzen einander fördern – und wo sie einander bedrängen. – Wo ich eingreifen sollte – und wo Loslassen klüger ist.

Beobachten ist keine Schwäche. Es ist gelebte Selbstwirksamkeit. Eine Entscheidung für Verbindung statt Kontrolle.

Selbstversorgung als Beziehung – nicht als Beherrschung

In meinem Garten bin ich nicht die Chefin. Ich bin Teil eines Gefüges. Ich lerne, begleite, schaffe Raum – und entscheide mit Respekt. Das ist eine Form von Macht, die nicht unterdrückt, sondern nährt.

Zart blühendes Eisenkraut zwischen Spinatpflanzen in einem üppig bewachsenen Gartenbeet.
Eisenkraut zwischen Spinat – ungeplant, zart, standhaft. Schönheit, die sich nicht an Pflanzpläne hält, aber den Garten bereichert.

Diese Art zu gärtnern verändert mich. Sie stärkt mein Vertrauen. In meine Wahrnehmung. In meine Entscheidungen. In meine Fähigkeit, Wandel zu gestalten – nicht durch Härte, sondern durch Hinsehen. Durch respektieren der einzelnen Beteiligten im Gefüge.

Gedanken zum Mitnehmen:

  • Beikraut ist oft ein Hinweis – nicht ein Fehler. Wer zuhört, erfährt mehr.
  • Selbstversorgung bedeutet nicht, alles zu kontrollieren – sondern sinnvoll zu entscheiden.
  • Beobachtung ist unser stärkstes Werkzeug – im Garten und im Leben.
  • Selbstwirksamkeit beginnt mit der Entscheidung, Verantwortung achtsam und informiert zu übernehmen.
  • Ein vielfältiger Garten ist nicht nur ökologisch stabiler – er ist auch ein Ort des Lernens über Beziehungen.

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Wenn dich dieses Thema berührt, lies auch meinen Beitrag „Was uns fehlt, pflanzen wir an“ – ein Text über meine Gedanken zu unseren Gartenplan 2025.